Der WWL-Volksentscheid und der lange Atem

Dieser Eintrag ist eine Antwort auf Robert Heinemann im Rahmen einer Diskussion auf Facebook. Die FB-Diskussion ist hier zu finden:

http://www.facebook.com/n/?platz13%2Fposts%2F172285412813201&mid=3983372G5af3358cb127G6cd03fG13&bcode=kxrtN

Weil FB-Diskussionen aber so vergänglich sind und ich glaube, dass wir hier ein Thema am Wickel haben, dass etwas langlebiger sein darf, versuche ich, die Diskussion hierhin zu verlagern. Hoffentlich macht Robert Heinemann mit…

Lieber Herr Heinemann,

Ihre Meinung, die Politik hätte im Fall des WWL-Volksentscheides mehr als ausreichend informiert, teile ich nicht.

In meinen Augen haben wir es hier mit sehr, sehr tiefsitzenden Ansichten und Überzeugungen zu tun. Immerhin hat ja jeder von uns mindestens 9 Jahre in der Schule verbracht – solch lange Zeiträume stiften Überzeugungen. Ich denke, es braucht wesentlich mehr, als ein paar Plakate, um solche Überzeugungen aufzubrechen. Aber das können Sie als Spezialist für Kommunikation sicher besser beurteilen, als ich.

Eine große Rolle haben da mit Sicherheit eben diese festen Überzeugungen gespielt, denen man nur in einer sehr lang angelegten Kampagne hätte begegnen können:
… hat uns auch nicht geschadet…
… Schulnoten sind doch objektiv…
… alle guten und schlechten Schüler in einer Klasse, das geht doch nicht…

usw. usf.

Alle diese Vorstellungen sind ja in der Erfahrungswelt derjenigen begründet, die sie äußern und dort stimmen sie ja auch. In der Realität der Wissens- und Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts stimmen sie nicht mehr.

Aber das muss man erstmal klarkriegen und dazu hätte es viel, viel mehr gebraucht, als eine Kampagne, die unter dem Stichwort „Gerechtigkeit“ die Stadt für ein paar Wochen mit Plakaten zupflastert.

Mit freundlichen Grüßen
Robert Schneider

2 Responses to Der WWL-Volksentscheid und der lange Atem

  1. Lieber Herr Schneider,

    manchmal sind wir ja doch gar nicht so weit auseinander:

    Ja, natürlich haben wir es hier mit tief sitzenden Ansichten und Überzeugungen zu tun (übrigens auch bei Ihnen). Deshalb muss man sich für Reformen Zeit lassen, diese sorgfältig entwickeln, Ängste und Sorgen (ob berechtigt oder nicht) ernst nehmen, die Identität von Schulen nicht vernachlässigen usw. Und deshalb sollten Reformen auch vernünftig vorbereitet und ausgearbeitet und nicht auf dem Sondierungstisch in kürzester Zeit festgelegt und verkündet werden.

    Genauso tief sitzen übrigens natürlich auch die gelernten und lange praktizierten Lehrmethoden bei vielen Lehrerinnen und Lehrern, die man nicht mal eben in einigen Stunden LI-Fortbildung zu herausragenden Protagonisten des individuellen Lernens machen kann. Sofern dies bei der in Hamburg üblichen Einzelbesetzung überhaupt flächendeckend geht – das gern zitierte Beispiel Finnland arbeitet m.W. ja in der Regel mit Doppelbesetzungen.

    Ich hatte in den Koalitionsgesprächen daher vorgeschlagen, in einigen „Netzwerken für längeres gemeinsames Lernen“ die Primarschule zu erproben – Interessenten hätte es dafür sicherlich gegeben, man hätte konkret zeigen können, was man eigentlich umsetzen will und die Öffentlichkeit hätte Zeit genug gehabt, sich mit dem Konzept auseinanderzusetzen.

    Leider wurde dies von der GAL abgelehnt. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Hamburger CDU zuvor bereits nach einer längeren und intensiven parteiinternen Diskussion den Weg von den drei zu den zwei Säulen gefunden hatte. Die Enquete-Kommission bestätigte diese Überlegungen. In ganz Deutschland fand dies positive Resonanz – aber anstatt diesen Schritt (für die einen der erste Schritt in die richtige Richtung, für die anderen zunächst einmal der letzte Schritt) erst einmal in Ruhe umzusetzen, musste ja gleich noch ein schneller zweiter Schritt folgen, der weder öffentlich noch in den Parteien vorbereitet war.

    Als ich dann im Dezember 2008 der Schulsenatorin empfohlen habe, sich einmal mit den – damals noch weniger gebündelten – Schulreformgegnern zusammenzusetzen, um sich auszutauschen und Fragen zu beantworten, wurde dies brüsk abgelehnt. So gewinnt man natürlich kein Vertrauen, sondern sorgt dafür, dass der Zug Fahrt aufnimmt. Gleiches gilt, wenn man bis zum Schluss keine Haushaltsdrucksache vorlegt.

    Selbst im Frühjahr 2010 gab es noch die Chance zum Kompromiss – WWL hatte immerhin 50 (jetzt haben wir 4) Versuchsschulen angeboten. Aber auch hier setzte die GAL aufs Ganze. Aufgrund der Schutzbestimmungen für Volksentscheide ist die Folge, dass die Hamburger Schulstruktur jetzt fester zementiert ist, als es die CDU alleine je hinbekommen hätte…

    Beste Grüße

    Robert Heinemann

  2. Robert Schneider sagt:

    Lieber Herr Heinemann,

    Ihrem letzten Satz stimme ich zu.

    Auf der anderen Seite: ich erinnere mich an eine Ausgabe des Spiegel, von vor ca. 20 Jahren, in der die Situation an unseren Schulen analysiert wurde. Die Autoren kamen zu dem Schluß, unsere Schulen seien kein guter Ort für Kinder und auch nicht für Lehrer.

    Und eigentlich kommen alle Fachleute (mit ganz wenigen Ausnahmen) bis heute zu dem gleichen Schluß.

    Da stellt sich mir die Frage: wenn das schon so lange klar ist, warum hat die Politik dann nicht schon lange damit angefangen, unsere Schulen in diese Richtung zu entwickeln? Eigentlich hätte man doch schon vor Jahrzehnten anfangen können, Lehrerinnen und Lehrer zu hervorragenden Protagonisten des individuellen Lernens auszubilden.

    Und hinsichtlich der Identität von Schulen: war nicht auch genug Zeit, der gesellschaftlichen Entwicklung hin zur 2-Generationen- oder sogar 2-Personen-Familie Rechnung zu tragen? Wäre es nicht sinnvoll gewesen, öffentlich über die traditionelle Arbeitsteilung zu diskutieren: Familie=Erziehung und Schule=Bildung?

    So, wie es gelaufen ist, hat die Schule doch schleichend einen Teil des ursprünglich familiären Erziehungsauftrages aufgetragen bekommen. Und beschwert sich jetzt zurecht, dafür nicht hinreichend ausgestattet zu sein.

    Wäre es nicht richtiger, wenn unsere Schulen sich in ihrer Identität als der zentrale Lebensort unserer Kinder verstünden (und auch dafür ausgestattet wären), als immer noch zu glauben, sie seien nur der Ort, an dem die Kinder vormittags ihre Bildung abholen?

    Auch für diese Diskussion hätte es wahrlich genug Zeit gegeben.

    Hat aber alles nicht stattgefunden. Warum eigentlich nicht? Warum wirkt es jetzt so, als wären alle diese Änderungen „hopplahopp“?

    Hinsichtlich der von WWL vorgeschlagenen Versuchsschulen sehe ich es so:

    Die Gymnasien haben – begründet oder nicht – nun einmal seit Jahren den Ruf, die einzigen Schulen zu sein, die ihren Kindern noch eine ordentliche Chance im Leben bieten (so ähnlich hat es Herr Dr. Scheuerl einmal gesagt). Viele unserer Mitbürger können es sich einfach nicht anders vorstellen, als dass ihre Kinder mit 10 von den anderen getrennt werden.

    Im Ergebnis kann ich mir nicht vorstellen, dass es zu einer ausgeglichenen Schülerschaft für die Versuchsschulen gekommen wäre: wenn ein Kind eine Gymnasialprognose gehabt hätte, dann wäre es auch auf’s Gymnasium geschickt worden (so, wie heute auch), die Versuchsschulen damit zu Restschulen geworden.

    Dass sich jetzt immer noch so viele Schulen als Versuchsschulen melden und sie ganz gut von den Eltern angenommen werden, überrascht und erfreut mich.

    Herlichst
    Robert Schneider

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